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Politische Lyrik im Dialog: Lesung und Diskussion mit Büchner-Preisträger Marcel Beyer

Erstellt von Dr. M. Kleine  |     

„Mir wurde klar, ich / brauche eine eigene Insel.“ – Was auf den ersten Blick nur vermessen klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als hochpolitische Aussage. Denn das lyrische Ich, das in dem Gedicht „Grönland“ (2019) von Marcel Beyer spricht, gibt sich deutlich als der US-amerikanische Präsidenten Donald Trump zu erkennen, der dabei prächtig parodiert wird. Bei den Schülerinnen und Schüler aus dem 10. Jahrgang kamen sowohl der aktuelle Bezug als auch der direkte Austausch mit dem renommierten deutschsprachigen Gegenwartsautor sehr gut an.

Sicherlich trugen dazu auch Beyers beeindruckende Rezitationen politischer Gedichte bei. Angefangen mit Georg Trakls „Verklärter Herbst“ sowie seiner eigenen Anverwandlung und Fortschreibung des Gedichts ("Verklirrter Herbst"), las Beyer u.a. Hans Magnus Enzensbergers Klassiker der politischen Lyrik „Ins lesebuch für die oberstufe“ (1957) und Paul Celans „Du liegst“ über die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts.

Mit großer Offenheit sprach Beyer über Entstehungshintergründe, poetische Verfahren und gesellschaftliche Bezüge auch seiner eigenen Texte. Die Schülerinnen und Schüler traten dabei nicht nur als Rezipierende auf, sondern brachten eigenständige Interpretationen und Fragen ein, die zu spannenden Gesprächen führten. Besonders interessant fanden sie, dass Marcel Beyer betonte, sich – anders als die gängige Interpretationspraxis in der Schule vielleicht nahelegt – weniger an bestimmten politischen Aussagen zu orientieren als an formalen Aspekten wie dem Klang.

Ermöglicht wurde die Veranstaltung durch eine Kooperation der Fachschaft Deutsch am Paulinum mit Prof. Dr. Stefan Elit vom Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Paderborn, dessen Studierende die Veranstaltung per Livestream verfolgten. Für alle Beteiligten war es ein inspirierendes Erlebnis, das den Blick auf Literatur nachhaltig verändert hat.

Zur Person: Marcel Beyer, geboren am 23. November 1965 in Tailfingen/Württemberg, wuchs in Kiel und Neuss auf. Er studierte von 1987 bis 1991 Germanistik, Anglistik und Literaturwissenschaft an der Universität Siegen; 1992 Magister artium mit einer Arbeit über Friederike Mayröcker. Der Autor erhielt zahlreiche Preise, darunter 2008 den Joseph-Breitbach-Preis und 2016 den Georg-Büchner-Preis. Bis 1996 lebte Marcel Beyer in Köln, seitdem ist er in Dresden ansässig. (Suhrkamp Verlag)

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